Die Frauenrechtlerin und Musikerin Meseret Hadush Weldemariam aus Tigray / Äthiopien wurde am 29. September 2025 mit dem 19. Bremer Solidaritätspreise ausgezeichnet. Der Bremer Senat würdigt hiermit ihr herausragendes Engagement für Frauen und Mädchen in Tigray, welche im Zuge des brutalen Konfliktes in Nordäthiopien sexualisierte Kriegsgewalt erlebten. Mit der von ihr gegründeten Hilfsorganisation Hiwyet (Heilung) setzt sich Meseret Hadush für die Überlebenden ein, unterstützt sie, dokumentiert ihr Leiden und gibt den Betroffenen eine Stimme.
Der bewaffnete Konflikt im Norden Äthiopiens eskalierte nach anhaltenden Spannungen im November 2020 in einen Bürgerkrieg. Er gilt als einer der brutalsten und tödlichsten Auseinandersetzungen weltweit. Massenvergewaltigung, sexuelle Versklavung und Verstümmelung wurden systematisch als Kriegswaffe gegen Frauen in Tigray eingesetzt, um die Gemeinschaft zu brechen sowie die Ethnie der Tigray zu zerstören.
Bürgermeister Andreas Bovenschulte: "Sexualisierte Gewalt gegen Mädchen und Frauen gehört zum Widerwärtigsten, was wir in Kriegen und Bürgerkriegen immer wieder zu beobachten haben. Neben den im besten Fall irgendwann heilenden physischen Wunden stehen stets sehr viel länger wirkende psychische Traumata. Deshalb ist es so unverzichtbar, den Opfern Unterstützung zu geben und das Heilen auf beiden Ebenen nach Kräften zu unterstützen. Genau das macht Meseret Hadush mit ihrer Organisation auf vorbildliche Weise. Damit leistet sie auch einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Versöhnung der Gesellschaft in Äthiopien."
Ursprünglich Pädagogin und Musikerin in Tigray, konnte Meseret Hadush angesichts der Gräueltaten an Frauen und Mädchen während des Bürgerkrieges und dem unermesslichen Leid nicht tatenlos zusehen, sondern gründete 2023 die Hilfsorganisation Hiwyet Charity Organisation. Gemeinsam mit ihrem Team unterstützt sie Überlebende sexualisierter Kriegsgewalt, dokumentiert die unvorstellbaren Taten und setzt sich für eine nationale und internationale Strafverfolgung der Täter ein. Sie hinterfragt tradierte Rollenmuster und die Tabuisierung von sexualisierter Gewalt und schafft unter Einbeziehung gesellschaftlicher und kirchlicher Akteure eine Kultur des Zuhörens, um das gesellschaftliche Trauma aufzuarbeiten und einer Stigmatisierung der Betroffenen entgegenzuwirken.
Meseret Hadush: "Es ist eine große Ehre, den 19. Bremer Solidaritätspreis zu erhalten. Diese Auszeichnung ist nicht nur eine persönliche Ehre – sie gibt mir auch eine Plattform, um für die Frauen und Mädchen aus Tigray zu sprechen, die während des Tigray-Krieges Gräueltaten erlitten haben. Dieser Preis symbolisiert die Stimmen der Überlebenden konfliktbezogener sexueller Gewalt, gibt ihnen Hoffnung, sorgt dafür, dass sie gehört werden, und stärkt unser Engagement, solche Verbrechen überall zu verhindern."
Das besondere ihrer Arbeit ist der "survivor-centred approach", der die Würde und Sicherheit der Betroffenen als zentral erachtet und auf die langfristige Stärkung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft zielt. Hiwyet unterstützt die Betroffenen durch die Unterbringung in sicheren Unterkünften, organisiert psychologische Betreuung und führt Schulungen durch, um den Frauen eine wirtschaftliche Perspektive aufzuzeigen. Um der gesellschaftlichen Stigmatisierung entgegenzuwirken, bezieht Hadush gezielt Gemeindevorstehende und kirchliche Akteure in ihre Arbeit ein und fördert eine Kultur des Zuhörens, der Anerkennung und der Heilung.
Meseret Hadush hat unter hohem persönlichen Risiko entscheidend zur Dokumentation der Gräueltaten im Tigray-Krieg beigetragen. Sie arbeitete mit Journalistinnen und Journalisten zusammen, um Zeuginnenaussagen und Beweise zu sichern – ein wichtiger Beitrag für den rechtlichen Schutz und die Strafverfolgung in aktuellen und künftigen Konflikten. Durch die Einbeziehung der relevanten gesellschaftlichen Akteure sowie der verschiedenen Ethnien leistet sie auch einen wichtigen Beitrag zur nationalen Versöhnung, die nur mit einer Aufarbeitung der Traumata gelingen kann.
Dr. Monika Hauser, Laudatorin und Mitglied des Kuratoriums des Bremer Solidaritätspreises: "Während des gesamten Konflikts in Tigray wurden Zivilist:innen massiv angegriffen und sexualisierte Gewalt systematisch und gezielt als Kriegswaffe eingesetzt, um Frauen und Mädchen zu erniedrigen, die Bevölkerung zu terrorisieren und die tigrayische Gemeinschaft langfristig zu zerstören. Noch immer ist sexualisierte Gewalt in allen Kriegen und Krisen weltweit grausame Realität. Die Folgen für Überlebende und Betroffene, aber auch die Gemeinschaft und gesamte Gesellschaft sind schwerwiegend, langanhaltend und Generationen übergreifend. Und noch immer mangelt es an Verantwortungsübernahme und dem Einbezug von Frauen in Friedensverhandlungen. Umso wichtiger ist die Arbeit von Meseret Hadush und Hewiyet sowie die gesellschaftliche Anerkennung und Aufmerksamkeit."
Die Verleihung des Bremer Solidaritätspreises an Meseret Hadush setzt ein Zeichen gegen den Einsatz sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe gegen Frauen und Mädchen weltweit und gibt den Betroffenen - nicht nur dieses weitgehend vergessenen Konfliktes - eine Stimme.
Tigray-Konflikt
Aus den anhaltenden Spannungen und Konflikten in Äthiopien entwickelte sich ab November 2020 ein militärisch ausgetragener Konflikt in der Region Tigray, der sich auf weitere Landesteile ausbreitete und in einem Bürgerkrieg eskalierte. Mehr als 600.000 Menschen kamen ums Leben, Millionen Menschen wurden vertrieben. Von Beginn an wurde systematisch Vergewaltigung als Kriegswaffe in Tigray eingesetzt. Schätzungsweise 120.000 Frauen und Mädchen wurden Opfer von systematisch eingesetzter sexualisierter Gewalt und gezielt benutzt, um die Gemeinschaft zu brechen sowie die Ethnie der Tigray zu zerstören
Der Bremer Solidaritätspreis wird alle zwei Jahre vom Senat der Freien Hansestadt Bremen verliehen. Er ist mit 10.000 € dotiert, die je zur Hälfte vom Senat und der privaten R+R-Reinke Stiftung getragen werden. Der Preis soll Personen und Initiativen ermutigen und würdigen, die sich für Menschenrechte und Demokratie sowie gegen die Folgen von Kolonialismus und Rassismus einsetzen. Die ersten Preisträger waren 1988 Nelson und Winnie Mandela.
Der Preis besteht aus einem Preisgeld und einer Skulptur des Bremer Künstlers Bernd Altenstein, die das Motiv der Bremer Stadtmusikanten als Symbol für die Stärke solidarischen Handelns aufgreift.